Dementi eines Dandys

Capote von Bennett Miller

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.
Diesem Film eilt ein gewaltiger Ruf voran (5 Oscar-Nominierungen, Golden Globe), den er eigentlich nur enttäuschen kann. Das Wunder: er übertrifft noch die kühnsten Voraussagen. Wäre Bennet Millers Filmbiographie des US-Autors Truman Capote auf der Berlinale nicht außer Konkurrenz gezeigt worden, er hätte bei der Preisvergabe zum einsamen Überflieger werden können. Das hat er mit demjenigen gemeinsam, um den sich in diesem Film alles dreht. Einer, der auch im Leben, um sich als einsamen Mittelpunkt alles kreisen ließ: ein schreibender Narziss, ein Dandy wie er im Buche steht - besonders bei Capote selbst. Nach seinem Sensationserfolg »Frühstück bei Tiffany« war Capote zum Cocktailpartykönig der New Yorker Gesellschaft geworden, ein zynischer Darling von allem und jedem - und ein kaltblütiger Selbstverkäufer. Von Anfang an eine ungewöhnliche Stimme, ein geradezu fotografisch genauer Beobachter. In seinem Erstling von 1948 »Andere Stimmen, andere Räume« finden sich die Sätze: »Sein Geist war völlig klar. Er war wie eine Kamera, die darauf wartet, daß ihr Objekt deutlich erscheint ... Alles an ihm war betäubt, außer seinen Augen.« Aber der Erfolg bekommt ihm nicht. 1962 schreibt Günter Blöcker im »Tagesspiegel«, Capote sei »zu einem smarten Macher geworden, zu einem Traum- und Stimmungskonfektionär, der Poesie zu herabgesetzten Preisen abgibt«. Das bezeichnet die Krise, in der sich Capote zu dieser Zeit befindet. Er steckt mitten in einem großen literarischen Prozess, der die Wende auch für sein Leben bringen soll: »Kaltblütig«. In diesem Augenblick setzt der Film an. 1959 wird in Kansas eine vierköpfige Farmerfamilie grausam ermordet, kurze Zeit später werden die beiden Mörder verhaftet. Capote liest davon in der Zeitung und fährt sofort hin. Denn mit diesem Fall will er eine neue Art zu schreiben erproben: ein Roman, der nur aus Tatsachen besteht. Keinerlei Erfindung. Der Autor wird zum Rechercheur, der Roman zur Großreportage. Aber der Distanzmensch Capote bekommt schnell ein Problem: er muss dicht heran an die beiden Mörder, braucht von ihnen so viele Details wie möglich. Besonders zu einem der beiden entwickelt der homosexuelle Autor eine Nähe, die sich einerseits als produktive literarische Quelle erweist, aber andererseits fatal ist. Die beiden Mörder werden zum Tode verurteilt und Capote ist nun ständiger Gast in der Todeszelle, führt lange Gespräche. Fragt nach Kindheit und Vorlieben - entdeckt dabei viele Gemeinsamkeiten. Das erschreckt ihn. Ist es ein bloßer Zufall, ob jemand zum Künstler oder zum Mörder wird? Eine schlechte Kindheit als Trauma verbindet Autor und Mörder. Der Unterschied sei lediglich, so Capote, dass er durch den Vorderausgang diesen Kindheitsraum verlassen habe, der Mörder durch den Hinterausgang. Die Bestie offenbart sich als Mensch, der einem in seiner Unerklärlichkeit nah kommt. Der großartige Philip Seymour Hoffmann zeigt uns diesen Capote als egoman in Neurosen eingesponnenen Profi seines Fachs. Einen Immoralisten, der nur ein Ziel hat: sein Buch zu beenden. »Kaltblütig« soll sein Hauptwerk werden. »Capote« und besonders sein Hauptdarsteller folgen dem Dokumentarprinzip aus »Kaltblütig«: nichts ist erfunden. Das funktioniert, das erzeugt kammerspielartig verdichtet einen unheimlichen Sog. Capote ist trotz Fistelstimme ein Diktator, der rücksichtslos sein Buch Seite um Seite vorantreibt. Er kennt nur ein Mitleid: das Selbstmitleid. Wer ist hier eigentlich die Bestie, fragt man sich. Die ihre Tat überhaupt nicht begreifenden beiden Mörder sehen nicht, welches Spiel der Autor da mit ihnen treibt, glauben an echte Zuwendung. Aber Capote pendelt zwischen Abscheu und Faszination. Er ist, wenn er schreibt, selbst von einer kaltblütigen Rücksichtslosigkeit. Er braucht mehr Zeit für seinen Recherche-Gespräche, also besorgt er gute Anwälte, die einen Hinrichtungsaufschub bewirken. Sie sind zu gut, die Umwandlung in eine lebenslange Haft droht. Capote zieht die Anwälte wieder ab. Trotzdem dauert es bis zur Hinrichtung sechs Jahre. Eine lange Zeit für einen ungeduldigen Autor - mit ungeschriebenem letzten Kapitel. Der Autor ist bei der Hinrichtung anwesend: aus Recherchegründen. Nun endlich ist der Weg für sein Buch frei, aber Capote zerbricht innerlich. Man nähert sich nicht ungestraft fremdem Leben, dringt bis in kleinste Kindheitserlebnisse ein - um es dann doch am Galgen sehen zu wollen. Capote ist schreibend zum Teil des furchtbaren Geschehens geworden, er hat sein Teil dazu getan und er schafft es nun nicht mehr, sich daraus befreien. Er betreibt mit Alkoholexzessen seine eigene Hinrichtung auf Raten. Bis zu seinem Tode 1984 wird er nie mehr ein Buch beenden. Günter Blöcker hatte vor »Kaltblütig« geschrieben: »Capote hat nur zu genau erkannt, daß literarisch organisierte Wirklichkeitsflucht ein einträgliches Geschäft sein kann, wenn man den Leser dabei nicht überfordert.« Mit »Kaltblütig« hat er nicht nur seine Leser, sondern auch sich selbst überfordert. Eine Überdosis Wirklichkeit - das selbstmörderische Dementi eines Dandys.
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